29.06.2012

ich sitze nur grausam da.

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die sprache ist ein grosser überfluss.
- friedrich hölderlin



kann sein die dunklen augen, der amsel
vogelblick, wo handzettel, staubschichten,
vergilbtes papier: behütete blüten.  kann
sein und mich an wörtern blutig schreiben
 – trächtig lauerndes erinnern, zerrinnen
zwischen pillen, salben, filzpantoffeln.

kann sein auf dem küchentisch am fenster
eine stimme, ein geruch, eine tröstung.
schlurft durchs zimmer, unter die tasse,
unter die haut. verblasstes geranien
blättchen, pelargonienhäutchen, sanfteste
zumutung einer abwesenheit. kann sein.

ich, mein herr, bin nicht mehr
von demselben namen.


marianne rieter

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28.06.2012

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die paradoxie gehört sonderbarerweise zum höchsten geistigen gut;
die eindeutigkeit aber ist ein zeichen der schwäche.


c.g. jung

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stille...stille...stille

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ich bin keine schriftstellerin und noch weniger eine dichterin. ich bin ein feigling, der sich hinter der poesie versteckt. ich benutze sie, um mich auszudrücken, um meine geheimnisse zu offenbahren, ohne mich dabei bloss zu stellen. um umschweife zu machen. um vage und dehnbar zu sein. um meine wahrheit hinter einer maske zu sagen. um dann, wenn du meine geheimnisse entdeckst, sagen zu können: “neee, es war nur ein gedicht” sie erlaubt mir, mit einschlägigen reimen, mehrdeutig zu sein. sie versöhnt meine gegensätze. keine ahnung, was ich ohne sie machen würde.


cristina sahuquillo
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26.06.2012

aufatmen

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ein paar schritte zwischen haus und haus,
bevor der abend in die strasse fällt.

die bilder werden langsam.
durch die luft
geht ein erträgliches rot.

keine glocke läutet
für die fliegerstaffel der stare.
die letzte runde der hundebesitzer.
das bisschen tag,
das noch in zäunen hängt.

der trugschluss
eines geschlossenen tors,
vor dem das licht bloss
schatten findet.

und hinter den fenstern: flimmern.
blaue leitsterne,
braune kommoden.

wir kehren zurück
vor nachrichteneinbruch.


lydia daher
[aus: insgesamt so, diese welt - voland&quist – gefunden bei fixpoetry]

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25.06.2012

blumen ins herz.

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lautere worte
der zeit entflochten

als säte einer
blumen ins herz

wäre grün
nicht vergänglich

traute ich
mir


marianne rieter
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24.06.2012

stiller vormittag

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es war ein solcher vormittag,
wo man die fische singen hörte;
kein lüftchen lief, kein stimmchen störte,
kein wellchen wölbte sich zum schlag.

nur sie, die fische, brachen leis
der weit und breiten stille siegel
und sangen millionenweis
dicht unter dem durchsonnten spiegel.


christian morgenstern
gefunden bei quersatzein
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23.06.2012

sprich ...

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foto: marianne rieter




sprich mit den händen
so hell du kannst
ich höre mich, reglos
dir zu.


andreas neeser
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21.06.2012

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christian morgenstern
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20.06.2012

in die dämmerung

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ich will nicht aufhören
in die dämmerung hinein
zu schreiben

zeilen die zerfallen
und zeilen die hängenbleiben
eine kleine weile

an einzelnen blättern
in einzelnen büchern
in einzelnen gedächtnissen

so hätte ich mich
gern wiedererlebt
nach den kommenden finsternissen


ernst jandl
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19.06.2012

die heiterkeit.

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was uns am unmittelbarsten beglückt, ist die heiterkeit des sinnes, denn diese gute eigenschaft belohnt sich augenblicklich selbst. wer fröhlich ist, hat allemal ursach', es zu sein: nämlich eben diese, dass er es ist. nichts kann so sehr wie diese eigenschaft jedes andere gut vollkommen ersetzen, während sie selbst durch nichts zu ersetzen ist.


arthur schopenhauer
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18.06.2012

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LIEBLICH MIT ECKEN:
MEINE LICHTBLICKE.

marianne rieter

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17.06.2012

eine katze ...


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eine katze sitzt, bis es ihr langweilig wird.
dann steht sie auf und geht weg.


alan watts

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16.06.2012

beim überfliegen einer kleinen rosa wolke

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etliche himmel
vielerlei licht
holde patrouillen
dann und wann
eines der grossen gesetze
ein träumender mensch
und eine von grossvaters goldenen bienen


elisabeth borchers
[aus: von der grammatik des heutigen tages, gedichte - suhrkamp]
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15.06.2012

du fragst, warum ...

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du fragst, warum ich schweige.
ich möchte nicht
dieses mögliche stören –
zu hören,
was dort, hinter den augen,
hinter dem himmel ist deines blicks.
spreche ich –
dann höre ich nicht,
was der vogel der zeit
prophezeit.


nina mazjasch
[aus dem belarussischen von elke erb]
gefunden bei lyrikline
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14.06.2012

aufgehoben.

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in mir
raum und licht
und heimat


marianne rieter
[ausgegraben von christiane b. zu diesem traumhaften bild]

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12.06.2012

ahoi!

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bin immer auf see
und lande nicht mehr.
- else lasker-schüler


die luft besticht mit klarheit -
türme tanzen auch bäume und
ich eine bleiche ameise in der
zwanzigsten étage mit offenem
mund am fenster stehe und
staune mit diesem weitwinkel
blick der süchtig macht zu
hoffen zu bleiben bis flügel mir
wachsen ein federkleid licht
gesäumt mit roten rändern

fliegen gänse vorüber die frei
heit ist nicht so gross wie man
dachte und nie war eine nacht
kürzer als hinter dieser luft
klappe aus lochblech mit rotem
teppich unter den füssen sitzt
eine frau in einem garten auf
einem der dächer und überall
flüchten die schatten tatsächlich
spielen die jungs la paloma

dort an der elbe tauft eine welle
den fisch in der sonne lachen
kinder und andere menschen
haafenrrrundfaahrt  allerorts
schwingt man übermütig die
beine flattern tauben und ich
frage mich ob heimat nicht sehr
viel mehr mit kommen und gehen
zu tun hat als mit sesshaftigkeit
ein schiff ohne hafen ist

diese sehnsucht die mich trägt
wo immer ich bin auch hier
aber jetzt ist kaum zeit durch
zuatmen nachzudenken lieber
lasse ich mich treiben in den
bildern dieser herrlichen sinn
losigkeit und einer geschenkten
stunde voll taumelndem licht


marianne rieter
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11.06.2012

war himmel

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war himmel, war boden, wir beide darauf,
dazwischen flogen die vögel im schwarm,
hoben auf, was uns festhielt, und senkten
sich wieder, hielt einer den abstand zum
anderen ein und lenkte unsere augen auf
sich: wob jeder an maschen aus eigenen
federn, zog seinen teil eines netzes herauf,
zu schützen uns vorm fall in den himmel,
der dunkelgrau war, weit weg und so starr.


ulrike almut sandig
[aus: streumen – connewitzer verlangsbuchhandlung]
gefunden bei lyrikline
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09.06.2012

klcraalk

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iphone foto: marianne rieter


ich habe mir ein rätsel vorgestellt
als ich nach hause flog an die kühle
dachte in der wir froren und doch sitzen
blieben als sei dieser platz der einzige
in dieser stadt die so nebenbei
schön ist und sich nichts einbildet auf
ihren glanz. ungelöst ist es geblieben
das rätsel. die buchstaben liegen wirr
auf dem wasser und mischen sich zu
unaussprechlichem.

julietta fix
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01.06.2012

angscht ...

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angscht du alti schildchrot
bisch immer no do?

und du au muet
fräche hund
mit em ewig junge fäll
voll alti narbe


ursula hohler
[aus: öpper het mini chnöche vertuuschet, schweizerdeutsche gedichte]